DAS POPULÄRSTE VOLKSBUCH DER SPÄTGOTIK: DAS NARRENSCHIFF - NAVIS STULTIFERA. Sebastian Brant (1457-1521), Johann Geiler von Kaisersberg (1445-1510), Navicula sive speculu(m) fatuo(rum) …, Johann Prüß der Jüngere, Straßburg, 16. Januar 1511.
Zweite lateinische Ausgabe der von Geiler von Kaiserberg herausgegeben Veröffentlichung der berühmten Narrenschiff-Predigt und die erste Ausgabe, die mit den Dürer-Holzschnitten aus Sebastian Brants Narrenschiff von 1494 illustriert wurde. „Neben der Lübecker Bibel der gewichtigste Zyklus in Holzschnitt, der vor der Apokalypse erschienen ist ... Die ersten wahren Sittenbilder von vollendeter Schönheit“ (Winkler, Dürer und die Illustrationen zum Narrenschiff, Berlin 1951). Johann Geiler von Kaisersberg, auch der „der deutsche Savonarola“ genannt, war einer der größten Volksprediger des 15. Jahrhunderts. Seine in Straßburg gehaltenen Predigten basierten auf dem immens populären „Navis Stultifera“, das von seinem Freund und Humanistenkollegen Sebastian Brant geschrieben und erstmals 1494 in Basel veröffentlicht wurde. Das Buch enthält 110 Predigten, die sich auf 110 Arten von Narren beziehen. Die für die „Navicula“ verwendeten Holzschnitte wurden ursprünglich für das „Narrenschiff“ in Auftrag gegeben. Die spätmittelalterliche Moralsatire veranschaulicht die damalige Welt mit all ihren Lastern und Eigenheiten. Der bahnbrechende Erfolg dieser volkstümlichen Literatur zog sowohl legitim veröffentlichte Parallelausgaben, als auch Raubdrucke nach sich. Vorliegende Ausgabe wurde unter Verwendung der originalen Holzschnitte durch Geiler von Kaisersberg im Text erweitert und als Predigt veröffentlicht und enthält ebenso das Werk „Compendiosa vitae eiusdem descriptio“ von Beatus Rhenanus (VD16 R 2060). Ausführliche Predigt Kaisersbergs über die spätmittelalterliche Moralsatire, die eine Typologie von 110 Narren bei einer Schifffahrt mit Kurs auf das fiktive Land Narragonien entwirft und so der Welt durch eine unterhaltsame Schilderung ihrer Laster und Eigenheiten kritisch-satirisch den Spiegel vorhält. Das Buch gliedert sich in eine Vorrede und 112 Kapitel, die in den meisten Fällen jeweils ein typisches menschliches Fehlverhalten oder Laster beschreiben und als Auswuchs närrischer Unvernunft präsentieren, so z. B. Habsucht, Kleidermoden, Schwätzerei oder Ehebruch, auch vor den Türken und dem nahen Weltende wird gewarnt; Regierende bekommen gute Ratschläge und ein neuer Heiliger namens St. Grobian tritt als Flegel auf. Das Schlusskapitel stellt diesem Reigen von Narren den Weisen als Ideal vernünftiger Lebenshaltung gegenüber und klingt im Schlussreim mit dem Namen des Autors aus, noch gefolgt von einem gereimten Explizit und einer in späteren Auflagen hinzugefügten Protestation, die sich über unbefugte Plagiate und Erweiterungen beschwert. Ist der Narr durchgehendes Leitmotiv, so taucht das Narrenschiff als Rahmen prägendes Motiv nur einige Male auf.
KOLLATION:
280 nicht num. Blatt. Vollständig. Lagensignatur: 1/8; 2/6; 3/8; A4; B8; CD4; E8; FG4; H8; IK4; L8; MN4; O8; PQ4; R8; ST4; U6; XY4; Z8; ab4; c8; de4; f8; gh4; i8; k-m4; n8; op4; q8; rs4; t8; ux4; y8; z-Aa4; BbCc6.
AUSSTATTUNG:
Einspaltige, gotische Type mit bis zu 44 Zeilen und Überschrift bzw. Kapitelpaginierung. Ein Titelholzschnitt mit dem Narrenschiff und 112 nahezu blattgroße Holzschnitte nach Albrecht Dürer, dem Hainz-Narr-Meister und anderen, meist flankiert von blattförmigen Randstücken in Holzschnitt. Die optisch ansprechenden und lebendigen Illustrationen trugen maßgeblich zum Erfolg des Narrenschiffs und seiner Folgepublikationen bei. Der junge Albrecht Dürer, der sich auf seiner Wanderschaft in Basel aufhielt, fertigte 74 Holzschnitte an. 21 weitere werden dem sogenannten „Haintz-nar-Meister“ und 7 dem „Gnad-her-Meister“ zugeschrieben, 10 weitere stammen von bisher unbekannter Hand. Abmessungen Blatt: 21 x 15 cm; Satzspiegel: 15,5 x 10,5 cm; Holzschnitte ca. 11,5 x 8,5 cm.
EINBAND:
Originaler Holzdeckeleinband der Zeit. Rücken sowie nahezu die Hälfte der Deckel mit blindgeprägtem Schweinsleder mit zwei Messingschließen. Gebunden auf drei Bünden. Guter Zustand. Buchblock und Bindung fest und stabil. Einband, insbesondere der Vorderdeckel mit Wurmlöchern und Wurmgängen. Die untere Ecke vom hinteren Deckel sowie die der untere Schließbügel erneuert. Die andere Schließe original aber abgelöst und lose beiliegend. Schwanz etwas lädiert. Rücken mit alten Bibliotheksmarken. Quartformat: 22,5 x 17 x 5 cm.
ZUSTAND:
Sehr guter Originalzustand. Weitgehend sauberes und breitrandiges Exemplar. Gleichmäßig leicht gebräunt und fingerfleckig. Die ersten beiden Blatt stärker fleckig und wurmstichig. Sonst nur vereinzelt einige Wurmlöchlein. Die Ränder ab und an partiell etwas fleckig. Ein Stück des unteren leeren Randes von Blatt S2 mit repariertem Abriss. Blatt /4 mit Einriss im unterem Bug. Blatt b1-4 auf dünnem Papier aber original gedruckt. Holzschnitte zumeist in guten, kräftigen Abdrucken. Etliche Randbemerkungen und Unterstreichungen einer zeitgenössischen Hand. Ordentliches und vollständiges Exemplar.
PROVENIENZ:
Bis 1883: Kartause von Buxheim - Bibliotheksstempel auf dem Titel. Ferner der handschriftliche Eintrag eines Georg Mantz „In usum Georgij Mantz“ unter dem Stempel.
NACHWEIS:
VD16 G 778; Adams G-316; Ritter 959; Muller 21, 89; Kristeller 623; Meder S. 274; Dacheux 50. Proctor 9995; Goedeke I, 400; Schoch, et al., Dürer, das druckgraphische Werk, III, 266; Winkler, Dürer und die Illustrationen zum Narrenschiff, 1951. VD16 listet lediglich 18 Exemplare in den Bibliotheken des deutschsprachigen Raumes.
Sachgebiete: Alte Drucke 16. Jahrhundert , Holzschnitt, Humanismus, Inkunabeln, Philologie
23.09.2022 - 14:29
ARTFINDING Katrin & Tilo Hofmann GbR