Umfangreiches Album aus der Familie des dem 'Jungen Deutschland' zugehörigen Schriftstellers Ferdinand Gustav Kühne und seiner aus einer der bedeutendsten Unternehmerdynastien stammenden Ehefrau Henriette Kühne, geb. Harkort. Das Album ist weniger ein klassisches Freundschaftsalbum als ein Archiv von Geschenken, Erinnerungen und eigenen Arbeiten, das im Wesentlichen aus drei Teilen besteht: im ersten Drittel wurden - sorgfältig von Hand bezeichnet und mit Lebensdaten versehen - Portraitstiche von Luther über Leibniz und Kant bis zu Heine und Forster versammelt. Das zweite Drittel besteht aus - teils in Rom entstandenen - Zeichnungen, die meist june Frauen darstellen und der letzte Teil enthält vor allem Radierungen von Gustav Harkort, die die Fortschritte im Eisenbahnbau dokumentieren. Die frühesten Stiche stammen aus den 1790er Jahren, die Zeichnungen aus den 1860er Jahren und die Radierungen von Harkort aus den Jahren um 1840. 48 Blätter mit über 100 Radierungen, Stahlstichen, Lithographien, Zeichnungen, Photographien u.a.m. Dunkelgrüner Ganzleder-Band mit reicher Goldprägung (Rücken repariert, Kanten berieben und Ecken leicht bestossen), 29 x 40,5 cm.
Das Album ist ein aufschlussreiches und beeindruckendes Dokument der Interessen und Vorlieben einer bemerkenswerten Verbindung aus Literatur, Liberalismus, Kunst und unternehmerischem Pioniergeist - der Verbindung der Familien Kühne und Harkort. Der Schriftsteller und Literaturkritiker Ferdinand Gustav Kühne (1806 - 1888) hatte von 1826 bis 1830 in Berlin bei Schleiermacher und Hegel Philosophie studiert und wurde 1830 in Erlangen zum Dr. phil. promoviert. Danach arbeitete er zunächst für verschiedene Zeitschriften und wurde 1835 Nachfolger Heinrich Laubes als Redakteur der 'Zeitung für die elegante Welt', dann 1846 Nachfolger seines Freundes August Lewald als Herausgeber der Zeitschrift 'Europa, Chronik der gebildeten Welt'. "Nach eigener Überzeugung Parteigänger der Jungdeutschen, die ihn jedoch als Abtrünnigen zurückwiesen und der Zusammenarbeit mit der staatlichen Zensurbehörde verdächtigten, versuchte er, nach beiden Seiten hin isoliert, vergeblich einen Ausgleich. Er zerstritt sich mit Laube und Gutzkow, gegen den er sich auf die Seite von Heine stellte. Er gab in der Folge zwar die liberale Grundposition nicht auf, zog sich aber aus der aktuellen Auseinandersetzung zurück. … Kühnes Begabung lag im Essayistischen und Feuilletonistischen, in knappen historischen und zeitaktuellen Porträts, in geistreich zugespitzten Beobachtungsskizzen und ironischen Zeitglossen. Es ging ihm um die kritische Vergegenwärtigung des 'Zeitgeistes' in einem Panorama seiner Erscheinungen: " (Martini, Fritz, "Kühne, Gustav" in: NDB Bd. 13, 1982, S. 198-199). Von Gustav Kühne finden sich im vorliegenden Album mindestens 12 eigenhändige feine Bleistiftzeichnungen aus dem Jahr 1841, dem Jahr seiner Eheschließung mit Henriette Harkort (1822 - 1894), der Tochter des Bergbauingenieurs und Offiziers Eduard Harkort. Henriette war, nachdem ihre Großmutter Henriette Catharina Harkort die Ehe ihres Vaters Eduard mit Gudula Kornemann nicht gebilligt hatte bei ihrem Onkel Karl Harkort in Leipzig aufgewachsen. Dieser lebte seit 1815 in Leipzig und gründete dort 1820 mit seinem jüngeren Bruder Gustav ein Handelshaus für englische Garne. Später widmeten sich die beiden industriellen Projekten; Gustav war zudem Eisenbahnpionier und Bankier (Bankhaus Carl & Gustav Harkort). Von ihm stammen die Radierungen mit Eisenbahnmotiven im vorliegenden Album. Neben den Widmungen an Gustav Kühne und vereinzelt an Henriette Kühne finden sich auch Arbeiten mit Widmungen an Henriettes Tante Auguste Harkort-Aders (1794 - 1857), deren Salon im biedermeierlichen Leipzig zu den musikalischen Attraktionen gehörte. Gustav Kühne vermittelte nach 1841 zudem Kontakte zu Literaten wie Berthold Auerbach und zu den Vertretern des 'Jungen Deutschlands', wie Heinrich Laube, Theodor Mundt und Ernst Willkomm. Nach dem Tod ihres Ehemanns zog Auguste Harkort am 1856 mit ihrer Nichte Henriette und deren Ehemann Gustav Kühne nach Dresden und hinterließ ihnen auch ihr beträchtliches Vermögen. Die gestochenen Portraits, die im Album den Auftakt bilden, spiegeln vor allem die protestantische und liberale Prägung. Bemerkenswert ist darunter ein frühes Portrait Heines, ein seltenes Huldigungsblatt von Riepenhausen für den Deutschrömer Johann Christian Reinhart, gestochen von Friedrich Loos sowie eine Federzeichnung nach der bekannten Skizze des Bildhauers Carl Friedrich Hagemann, das Kant mit dem Senftopf zeigt. Die folgenden in den 1860er Jahren in Rom entstandenen Portraits in Kohle und Bleistift und Skizzen antiker Gemmen und Statuen sind Ausdruck der auch Ende des 19. Jahrhunderts anhaltenden Italienbegeisterung und müssen bei einem Aufenthalt in Rom entstanden sein, den wir noch nicht einem Familienmitglied zuordnen können. Die Radierungen mit Eisenbahnmotiven von Gustav Harkort schließlich sind Ausdruck einer künstlerisch anspruchsvollen Beschäftigung mit dem Motor der industriellen Entwicklung. Das ganze Album wurde offensichtlich mehrfach umgestaltet - dafür sprechen einige Leestellen und Klebespuren und die eher thematische als chronologische Ordnung. Es diente wohl weniger repräsentativen Zwecken als der Aufbewahrung von Andenken, Geschenken und eigenen Arbeiten. - Zustand: Die Tragerkartons papierbedingt etwas brüchig, stellenweise Fehlstellen am Rand und gelegentlich stockfleckig.
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