Nüchtern berechnender Ingenieur und zugleich für das Wahre, Schöne, Gute in der Malerei empfindsam? Was sich zunächst nach zwei Gegenpolen anhört, beruht teils auf übereinstimmenden Gesetzen und Grundlagen. So ist doch schon das Phänomen der Perspektive festen physikalischen Gegebenheiten unterworfen und beschäftigte seit Urzeiten Künstler, die ihre Umwelt räumlich abbilden wollten. Der Maler Gustav Seelos scheint ebenso talentiert gewesen zu sein, das Schöne mit dem zu Berechnenden zu verbinden. Nach Abschluss der schulischen Ausbildung in seiner Geburtsstadt Bozen belegte er 1849 in München einen Mathematikkurs und ging schließlich an das k. k. Polytechnische Institut in Wien, das nach den Revolutionsjahren 1848/49 einer strengen militärischen Leitung unterlag. Der Malkunst widmete sich Seelos vermutlich erstmals während einer Italienreise, die er 1853 mit seinen Brüdern sowie den Malern Josef Selleny und Jan (Johann) Nowopacký unternahm. Seinen Verdienst fand Gustav Seelos, der jüngste im Bunde, nicht wie seine Brüder Gottfried (1829-1900) und Ignaz (1827-1902) in der Malerei sondern zunächst im technischen Bereich. Als Oberingenieur bei der k. k. Südlichen Staatsbahn beaufsichtigte er den Streckenbau der Eisenbahn durch seine Heimat Südtirol. Die wichtige Nord-Süd-Verbindung der Brennerbahn erhielt ab 1864 den entscheidenen Streckenabschnitt zwischen Innsbruck und Bozen, mit dem die schon vorhandenen Gleise im Süden bis Verona geführt werden sollten. Gustav Seelos datierte unser Landschaftsaquarell auf 1864 und zeigt also den Beginn der schwierigen Arbeiten in der Schlucht des Eisacktals. Am Ufer des klaren Gebirgsflusses sind etliche Arbeiter auf der Straße zu sehen. Während man an mancher Stelle Müßiggang vermutet, wird auf den zweiten Blick deutlich, dass hier schwere Arbeit geleistet wird. An der mächtig aufragenden Felswand ist erst ein kleines, vom Maler dunkel gefärbtes Teilstück zu sehen, wo einer der ersten Tunnel der Bahnlinie entstehen soll. Alle Hände haben mit Brechen und Abtransport des schweren Porphyrgesteins zu tun. Doch wirkt die Szene des Oberingenieurs Seelos tatsächlich wie ein sanftes Stimmungsbild eines warmen Sommertages. Wohl zeigt der Beamte im Dienst der Bahngesellschaft hier den Fleiß der Arbeiter und wohl liegt seinem Bild der dokumentarische Charakter des technischen Beobachters inne, wonach den Auftraggebern vielleicht überhaupt der Sinn stand: Die genaue Verortung ist durch die technische Anlage des Sägewerks mit Staudamm und die genau skizzierte Felskontur gewährleistet, der Baufortschritt ist durch Angabe der Streckenführung und des Tunneleinbruchs genau zu erkennen. Und doch hat das Aquarell den romantischen Charme eines Landschaftsbildes, das durch die rastende Magd in Tracht ebenso besticht wie die pittoresken Formationen des Gebirges. So mag man in dem Künstler, der ein technisches und ein ästhetisches Auge zugleich besaß, also den idealen Maler für diese Szene gefunden haben. Man erlaubt sich ein Schmunzeln, wenn man zuletzt erfährt, dass Gustav Seelos‘ Tätigkeit bei der Südbahngesellschaft tatsächlich auch die Mitwirkung an Alben mit Ansichten der Streckenführung und Darstellungen des Bahnbetriebes umfasste, die anlässlich feierlicher Veranstaltungen wie etwa dem Abschluss einer Bauphase ausgegeben wurden. (Text: Benedikt Ockenfels)
Technik: Aquarell auf Papier, Bezeichnung: Unten rechts signiert: "Gustav Seelos". Unten rechts datiert: "64", Größe: 20,5 cm x 29,7 cm, (Preise nach Differenzbesteuerung gem. §25a UStG, Kunstgegenstände/Sonderregelung).
4800,- EUR
Differenzbesteuert
Sachgebiete: Aquarelle, Kunstgeschichte, Landeskunde, Malerei, Verkehrswesen
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